Kein Grund zur Entwarnung! PEGIDA ist eine rassistische Bürgerbewegung

Stellungnahme des Netzwerks gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus (NIR) zur PEGIDA-Studie von Prof. Dr. Hans Vorländer, TU Dresden 

Am 14. Januar 2015 wurde in einer Pressekonferenz an der TU Dresden eine Studie über die soziodemografische Zusammensetzung und Motivation von Teilnehmer_innen der PEGIDA-Demonstrationen vorgestellt.1 Die Studie wurde unter Leitung von Prof. Dr. Hans Vorländer, der den Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte am Politikwissenschaftlichen Institut der TU Dresden inne hat, durchgeführt. Da es sich um die bisher erste veröffentlichte Untersuchung zu den PEGIDA-Demonstranten handelt, wurde ihr große mediale Aufmerksamkeit geschenkt. Die Pressemeldung der TU Dresden (14.01.2015) verspricht sensationelle Ergebnisse:

„Die Ergebnisse sind bemerkenswert und stehen zum Teil bisherigen öffentlichen Annahmen über Anliegen und sozialen Hintergrund von PEGIDA-Anhängern entgegen.“ In der Lesart der Wissenschaftler motiviert die PEGIDA-Teilnehmenden vor allem eine Kritik an den politischen Eliten und den Medien – rassistische Vorurteile gegenüber Muslim_innen und Flüchtlingen stünden im Hintergrund. Die Demonstrant_innen enstammten der politisch enttäuschten Mittelschicht.

Angesichts der breiten Rezeption und der vermeintlich gewonnenen Erkenntnisse, die zu einer Relativierung und Legitimierung von PEGIDA führen können, sieht sich das Netzwerk gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus zu einer kritischen Stellungnahme veranlasst. Wir haben die Studie analysiert und Kritiken zusammengetragen, die wir im Folgenden darstellen:

Zur Aussagekraft der Studie – Mangelnde Repräsentativität


Zunächst springt die geringe Rücklaufquote von 35% ins Auge. 65% der Angesprochenen haben die Aussage verweigert.2 Da die Grundgesamtheit nicht bekannt ist – damit sind die Gruppen gemeint, aus denen sich die Demonstrationsteilnehmer_innen zusammensetzen – können die Ergebnisse auch nicht gewichtet werden. Es bleibt damit unklar, inwieweit sie die Teilnehmer_innen repräsentieren. Sind es die Niedrigverdienenden, die Menschen ohne oder mit niedrigen formalen Bildungsabschlüssen, die Erwerbslosen, die Hooligans, Nazis, Antisemiten und Rassisten, die keine Antworten gegeben haben?
Weiterhin ist im Kommentar zum methodischen Vorgehen der Studie zu lesen, dass die Daten Rückschlüsse über die Teilnehmer_innen zuließen, weil diese nach dem Zufallsprinzip befragt worden seien.3 Nur ist zum einen fraglich, ob die Interviewenden bereit waren wirklich jeden Demonstrierenden anzusprechen.4 Zum anderen ist nicht nur hinlänglich bekannt, dass ein Großteil der PEGIDA-Teilnehmer_innen ungern über das spricht, was er denkt – schon gar nicht mit dem „Establishment“, dem „Mainstream“ oder dem „System“, darunter der „Lügenpresse“. Es ist auch ein offenes Geheimnis, dass sich Hooligans, Nazis und Menschen mit geschlossenem rechten Weltbild ungern interviewen lassen.5

Schließlich hat die Umfrage mit dem Problem erwünschter Antworten zu kämpfen. Hannes Henker beschreibt dies auf seinem Blog „Politischer Spielraum“ treffend:

„Erstens handelt es sich um eine völlig untypische Umfragesituation: Allen Befragten ist klar, dass sie an einer Demonstration teilnehmen die der deutsche „Mainstream” täglich öffentlich verurteilt. Da vermutet werden darf dass die Befrager als (staatlich finanzierte) Wissenschafter zu diesem Mainstream gehören, ist die Umfragesituation relativ offen konfrontativ. Kein Wunder, dass diffuse Antwortmöglichkeiten über “Unzufriedenheit mit der Politik” lieber gewählt werden als offensichtlich außerhalb der Norm fallende Aussagen über den Islam: sie sind der Weg des geringsten Widerstands in der aufgeladenen Umfragesituation. Man kann das auch für Strategie halten: schließlich ist den Befragten wohl klar, dass Pegida dem Vorwurf ausgesetzt ist, “Nazis in Nadelstreifen” in seinen Reihen zu tolerieren. Wer Pegida unterstützen möchte tut also gut daran, sich in Umfragen und Interviews als “besorgter Bürger der mit dem Establishment unzufrieden ist” zu zeigen, anstatt offen über Vorbehalte gegenüber Ausländern zu reden.“6

Blinde Flecken bei der Abfrage von Teilnahmemotiven

In der Umfrage wird nach der Motivation für die Teilnahme an den PEGIDA-Demonstrationen gefragt. Hier gibt es zwar die Kategorie „Grundlegende Vorbehalte gegenüber Zuwanderern und Asylbewerbern“, nicht aber eine Abfrage des Kategorie „Ablehnung des Islam“. Lediglich die Kategorie „Protest gegen religiös oder ideologisch motivierte Gewalt“ soll wohl in Richtung Islam deuten.

Nach Einschätzung von Journalist_innen und Beobachter_innen der Demonstrationen sind Verschwörungstheorien, antisemitische, antifeministische, homophobe und sozialchauvinistische Vorurteile bei PEGIDA präsent. Neben der mangelnden Abfrage islamfeindlicher Ressentiments wurden damit typische Elemente gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit7 nicht abgefragt. Mögliche Motive der PEGIDA-Demonstrant_innen wurden damit nur sehr selektiv in den Fragebogen aufgenommen.
Noch einmal zur Kategorie „Grundlegende Vorbehalte gegenüber Zuwanderern und Asylbewerbern“, in der sich auch die Unterkategorie „Ablehnung des Islam“ findet: Dies zeigt, dass der Islam in der Studie als Religion von Zuwander_innen verstanden wird, was angesichts der vielen Muslime mit deutschem Pass schlicht falsch ist.

Darüber hinaus steht dem gegenüber die Kategorie „Protest gegen religiös oder ideologisch motivierte Gewalt“, die sich wohl im weitesten Sinne auf „Extremismus“ als eigenständig problematisierten Gegenstand von PEGIDA bezieht und damit auch „Islamismus“ als „religiös begründeten Extremismus“ (so die etablierte Vokabel in der Deutschen Islam Konferenz) umfassen dürfte. Dies wird aber wiederum dem Umstand nicht gerecht, dass die Islamisierungsfantasie, auf die sich PEGIDA mindestens dem Namen nach bezieht, gerade nicht in der Lage ist, zwischen „Islam“ und „Islamismus“ zu trennen.

Mangelnde Transparenz der Methodik

Die Autoren der Studie haben zwar einen Kommentar zum methodischen Vorgehen verfasst, jedoch macht es die Beteuerung „die Daten [ließen] einen validen Blick auf die soziodemographische Zusammensetzung und die Motivationen der Gesamtheit der Teilnehmer zu“8 nicht nachvollziehbarer, wie die Ergebnisse zu Stande gekommen sind.
Wie lauteten die Fragen? In welcher Abfolge wurden sie gestellt? Insbesondere die Frage, ob die Möglichkeit zur Mehrfachnennung bestand (d.h. kann in einem Block mit mehreren Fragen nur eine oder mehrere angekreuzt werden?), ist relevant: Wie die Langzeitstudie „Deutsche Zustände“9 zeigen konnte, tritt ein Vorurteil selten allein auf. Eine Ablehnung politischer Eliten und „der Medien“ bedeutet somit noch lange nicht, dass die Befragten nicht zugleich islamophob, fremdenfeindlich und antisemitisch sind. Die Frage nach der möglichen Anzahl an Antworten kommt damit der Frage danach gleich, ob die Ergebnisse verzerrt sind.

Alternative Interpretationen

Lässt man sich auf die Studie und die von ihr produzierten Ergebnisse ein, sind andere Interpretationen möglich als die der Autoren, die ja den „typischen PEGIDA-Demonstranten“ auszumachen können glauben.

Mit Blick auf die Altersgruppe ließe sich sagen, dass die 20- bis 69-jährigen relativ gleichmäßig vertreten sind.

Stefan Niggemeier schlägt folgende Lesart vor: Nun wisse man, dass 65% der PEGIDA-Demonstranten nicht mit Wissenschaftlern reden wollen.10 35% derjenigen hingegen, die ihre politischen Ansichten gegenüber den Forschern äußerten, entstammen der Mittelschicht, sind gut ausgebildet usw. „Vorbehalte gegen Muslime bzw. Islam“ sind das mit Abstand ausschlaggebendste Item in der Kategorie „Grundlegende Vorbehalte gegenüber Zuwanderern und Asylbewerbern“. Es befindet sich damit im Kernbereich der überhaupt abgefragten rassistischen Items. Dies gibt denjenigen Lesarten Recht, denen zu Folge Islamfeindlichkeit das entscheidende und verbindende Element der Dimensionen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Weltbild von PEGIDA ist.

Geht man von der Prämisse aus, dass PEGIDA-Demonstrant_innen Muslime und Flüchtlinge nicht so Recht auseinanderhalten können, erhöht sich das Potenzial für Islamfeindlichkeit, dass man aus der Studie herauslesen könnte auf 32,25%.

Rezeption der Studie

Die Studie – so wie sie bisher von ihren Autoren veröffentlicht wurde – erweckt den Anschein von Repräsentativität. Ihre Darstellung ist sensationsheischend.
Zum richtigen Zeitpunkt erschienen (kurz nachdem PEGIDA 25.000 Teilnehmende gezählt haben will), hat sie ein großes journalistisches Bedürfnis befriedigt: Die Frage beantworten zu können, wer PEGIDA ist und dabei Neuigkeitswert zu haben.

Entsprechend ist die mediale Rezeption: Trotz Kritik am methodischen Vorgehen zieht ausgerechnet ein taz-Kommentator die Aussagen der Studie heran, um sich zu bestätigen, was ihm schon längst klar war – hier demonstriert der Wutbürger:

„Hier demonstrieren Bürger, die mit Demokratie nichts oder wenig anfangen können und nie versucht haben, sich mit ihren Überzeugungen zivilgesellschaftlich zu organisieren oder parteipolitisch einzubringen. Stattdessen haben sie das dringende Bedürfnis sich zu beschweren.“11

Worin der Inhalt dieser „Beschwerde“ besteht – die Abwertung von und der Entzug von Grundrechten für Bevölkerungsteile – scheint irrelevant zu sein.

Ebenso eine Veröffentlichung des RBB, in der es heißt:

„Was aber unbestreitbar ist, ist die Tatsache, dass sich viele der Menschen, die in Dresden auf die Straße gehen, von der Politik betrogen fühlen […].“12

Einen ähnlichen Ton schlagen der MDR13, die tageschau14, der Stern15 und die FAZ16 an. Am kritischsten berichtet da noch der Spiegel.17
Überall findet sich dabei ein Verweis auf die mangelnde Repräsentativität, der jedoch verblasst, da weiter von „den PEGIDA-Demonstranten“ geschrieben wird. Am deutlichsten bringt der Focus vom 14. Januar die dominante Lesart der Dresdner Studie zum Ausdruck

„Typischer Pegida-Demonstrant ist gar nicht gegen den Islam“.18

Konsequenzen der Kritik

Das Netzwerk gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus befürwortet es, wenn der Verweis auf die mangelnde Repräsentativität der Studie nicht nur ein Lippenbekenntnis bleibt. Journalisten sollten nicht von „den“ oder „typischen“ Demonstranten sprechen, wenn sie sich auf die Untersuchung beziehen. Sie gibt zudem keinen Anlass zur Entwarnung: Bei PEGIDA handelt es sich um eine rassistische, menschenfeindliche Bewegung!
An Prof. Dr. Hans Vorländer richtet das NIR die Aufforderung auch Datensatz und Fragebogen zu veröffentlichen, um Interessierten eine eigenständige Auswertung und Interpretation zu ermöglichen.

Pia

Quellennachweise:

  1.  http://tu-dresden.de/aktuelles/news/pegida_pk (Zugriff: 18.01.2015)
  2.  http://www.welt.de/politik/deutschland/article136426537/Wie-fremdenfeindlich-sind-Pegida-Anhaenger-wirklich.html, Die Welt, 15.01.2015 (Zugriff: 18.01.2015)
  3.  http://tu-dresden.de/aktuelles/news/Downloads/methodik (Zugriff: 18.01.2015)
  4.  Der Blogger und Wirtschaftsinformatiker Christian Reinboth schreibt, es sei „natürlich viel wahrscheinlicher, dass Befrager einen harmlos aussehenden Demonstranten ansprechen, als dass sie ihr Glück mit einem bereits angetrunkenen Hooligan versuchen“ (http://scienceblogs.de/frischer-wind/2015/01/14/was-verraet-uns-die-aktuelle-studie-der-tu-dresden-ueber-den-typischen-pegida-demonstranten/, Zugriff: 18.01.2015).
  5. http://www.stefan-niggemeier.de/blog/20210/studie-ueber-pegida-demonstranten-zeigt-pegida-demonstranten-lehnen-teilnahme-an-studie-ab/ (Zugriff: 18.01.2015)
  6.  http://politischer-spielraum.de/?p=1110 (Zugriff: 18.01.2015)
  7.  http://www.uni-bielefeld.de/ikg/projekte/GMF/Elemente.html (Zugriff: 18.01.2015)
  8.  http://tu-dresden.de/aktuelles/news/Downloads/methodik (Zugriff: 18.01.2015)
  9.  http://www.uni-bielefeld.de/ikg/projekte/GMF/WasIstGMF.html (Zugriff: 18.01.2015)
  10. http://www.stefan-niggemeier.de/blog/20210/studie-ueber-pegida-demonstranten-zeigt-pegida-demonstranten-lehnen-teilnahme-an-studie-ab/ (Zugriff: 18.01.2015)
  11.  http://www.taz.de/Kommentar-Studie-zu-Pegida/!152878/ (Zugriff: 18.01.2015)
  12.  http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/vis_a_vis/201501/215020.html (Zugriff: 18.01.2015)
  13.  http://www.mdr.de/mdr-um-11/pegida-studie-tu-dresden100_zc-0b8b53ca_zs-ad1cc16c.html (Zugriff: 18.01.2015)
  14.  http://www.tagesschau.de/inland/pegida-237.html (Zugriff: 18.01.2015)
  15. http://www.stern.de/politik/deutschland/studie-typischer-pegida-demonstrant-ist-maennlich-und-gebildet-2166320.html (Zugriff: 18.01.2015)
  16. http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/umfrage-unter-pegida-demonstranten-alltaegliche-unzufriedenheit-13369494.html (Zugriff: 18.01.2015)
  17. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-studie-in-dresden-marschiert-die-mittelschicht-a-1012913.html (Zugriff: 18.01.2015)
  18. http://www.focus.de/regional/dresden/demonstrationen-studie-typischer-pegida-anhaenger-ist-gebildet-und-verdient-gut_id_4404494.html (Zugriff: 18.01.2015)

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du dich damit einverstanden.

Akzeptieren