Wir unterstützen den offenen Brief der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) an die taz:
Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund) e.V. verurteilt zutiefst die Reaktion der taz-Redaktion auf die Ereignisse, die sich rund um die Diskussionsrunde „Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen“ auf dem taz.lab 2013 zugetragen haben.
Die Veranstaltung vom Samstag, 20.04.13 endete aufgrund des respektlosen Verhaltens des Moderators und taz-Journalisten Deniz Yücel in einem Eklat. Dies war jedoch nur der Auftakt einer Reihe von Verfehlungen, die sich die Organisator_innen des taz.labs 2013 sowie die Chefredaktion der taz seitdem geleistet haben. Nicht nur, dass die unprofessionellen Ausbrüche Yücels in dem noch am selben Abend erschienenen Online-Artikel verharmlost wurden, auch die Reaktionen von Chefredakteurin Ines Pohl und taz.lab-Kurator Jan Feddersen auf die Beschwerden von Autorin und ISD-Aktivistin Sharon Dodua Otoo waren – gelinde gesagt – unbefriedigend. Herrn Feddersens Nachricht beinhaltete einzig Beileidsbekundungen sowie den Verweis auf Herrn Yücels vermeintlich antirassistische Haltung. Diese dürfte Herr Yücel nicht nur auf dem Podium, sondern auch mit seinem Artikel „Liebe N-Wörter, ihr habt ’nen Knall“ vom Montag, dem 22.04.13, zumindest in Frage gestellt, wenn nicht widerlegt haben. Anstatt einer tiefergehenderen Recherche zieht er es dort vor, möglichst viele provokative Behauptungen über das Publikum, eine angeblich geplante „Sprengung“ der Podiumsdiskussion, aber auch über unsere Arbeit als Verein aufzustellen. Dabei wird nicht nur Yücels Unwissenheit über geschichtliche Kontexte, sondern auch erneut sein Unwillen deutlich, sich auf die Frage einzulassen, weshalb sowohl Schwarze als auch viele weiße Menschen mit einem historisch und auch gegenwärtig mit rassistischer Gewalt verbundenen Begriff nicht grundlos und wiederholt innerhalb einer öffentlichen Veranstaltung konfrontiert werden möchten.
Der Begriff „Neger“ (im Folgenden N-Wort) ist keinesfalls ein inzwischen harmloses Artefakt aus vergangenen Zeiten. Er wird im Gegenteil nach wie vor im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen und Alltagsdiskriminierung gegen Schwarze Menschen in Deutschland verwendet. Die 350-jährige Gewaltgeschichte des Begriffs in Deutschland sollte Anlass genug für einen sensiblen Umgang damit sein. Das N-Wort war integraler Bestandteil rassistischer Konzepte, die politische Gewalt legitimierten, es wurde über Jahrhunderte in der Planung und „Legalisierung“ von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet: Vom brandenburgischen Versklavungshandel und Rassismus in der Aufklärung über rassistische Kolonialpolitik über Zwangskastrierung und Ermordung im Dritten Reich bis hin zur Diskussion rassistischer Politik gegen Schwarze Deutsche im Bundestag der 1950er reicht die deutsche Traditionslinie im Bereich von staatlicher Politik – von gesellschaftlichem Rassismus ganz zu schweigen. Wir verstehen nicht, wie die taz es zulassen kann, dass Herr Yücel in seiner Kolumne den Kolonialismus verharmlost, Genozide gegeneinander aufrechnet und sie so relativiert. Um nur eine bezeichnende historische Blindstelle in seinem Text zu benennen: Der von ihm beschriebene Genozid in Ruanda kann ohne die während der deutschen Kolonialzeit vorgenommene, mit rassistischen Theorien gerechtfertigte Fixierung der zuvor flexibleren Kategorien „Hutu“ und „Tutsi“ nicht verstanden werden. Dass diese Zusammenhänge im weißen deutschen Mainstream immer noch zu wenig bekannt sind, enthebt Journalist_innen nicht von ihrer Verantwortung zur durch Recherche fundierten Darstellung – ganz im Gegenteil. Das unreflektierte Relativieren von Genoziden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit steht dem Selbstverständnis der taz entgegen.
Des weiteren versucht Yücel, durch das Zitieren des afrikanisch-amerikanischen Menschenrechtlers Martin Luther King Jr., sein Fehlverhalten zu verschleiern und die soeben beschriebene Gewaltgeschichte zu verharmlosen. Auch dagegen möchte die ISD Einspruch erheben. Der Amerikanische Begriff „Negro“ kann nicht einfach mit dem deutschen N-Wort gleichgesetzt oder übersetzt werden. Die Begriffe haben eine jeweils spezifische Geschichte. Weder wurde das N-Wort zu irgendeinem Zeitpunkt in Deutschland als neutrale Bezeichnung für Schwarze Menschen, noch von diesen selbst als Selbstbezeichnung im Rahmen ihres Kampfes um Gleichberechtigung verwendet.Enttäuschend ist außerdem, dass die Chefredaktion in ihrer Stellungnahme vom 25.04.13 auf dem „taz Hausblog“, nur in einem Nebensatz Yücels angebliche Entschuldigung erwähnt und ihren Autor im gleichen Atemzug generalisierend für seine provozierenden Texte lobt. Dass er ein Autor sei, der Grenzen austeste und sich nicht von Tabus und Traditionen abhalten ließe. Auch mittels Satire, die weh tut. Selbstverständlich lebt eine Zeitung wie die taz von der Diversität ihrer Standpunkte. Jedoch müssen auch hier gewisse Grenzen gesetzt werden. Auch Meinung und Polemik sollte auf Sachinformationen und dem fundamentalen Respekt für Unterdrückungserfahrungen gegründet sein. Frau Otoo war auf dem Podium des taz.labs ein geladener Gast und wurde ebenso wie viele der anwesenden Schwarzen Zuschauer_innen – unter anderem Mitglieder der ISD – nicht mit dem gebührenden Respekt behandelt. Die Stellungnahme von Frau Otoo abzudrucken, erscheint zunächst als einsichtige Geste der taz. Der relativierend formulierte Text im Kasten daneben macht allerdings deutlich, dass der Zeitung der Wille zu einer souveränen Auseinandersetzung mit politischen Differenzen und Konflikten fehlt.
Schon länger gilt das Verhältnis der taz zu einer breiten rassismuskritischen Öffentlichkeit als angespannt. Dieser Vorfall ist ein weiteres Beispiel für das Verbarrikadieren hinter einer Verteidigungslinie. Es wird Zeit, dass sich die taz, ebenso wie die breite Gesellschaft, endlich kritisch mit dem Thema Rassismus und Sprache auseinandersetzt. Es wird Zeit, dass der Mainstream die Stimmen derjenigen ernst nimmt, die üblicherweise als die so genannten Anderen gelten. Es gilt, sie als Expert_innen zum Themenfeld Rassismus und Diversity anzuerkennen und für die Medienstrukturen nachhaltig zu gewinnen.
Wir erwarten eine noch immer ausstehende ausführliche Stellungnahme und inhaltliche Auseinandersetzung der taz mit den von uns dargelegten Vorgängen und der erfolgten Gegendarstellung Otoos, sowie eine Entschuldigung, die auch als solche gewertet werden kann. Damit hat die taz in diesem konkreten Fall die Gelegenheit, ihr Selbstverständnis als emanzipatives Medium zu bekräftigen – oder sich davon abzukehren.
– Vorstand, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD-Bund) e.V. –