Warum Xavier Naidoo kein Partner im Engagement gegen Rassismus sein kann

von Florian Illerhaus und Sindyan Qasem

Xavier Naidoo will nicht aus den Schlagzeilen. Nachdem die Entscheidung, den Sänger ohne Vorausscheid zum „Eurovision Song Contest“ zu schicken, aufgrund innerhalb der zuständigen NDR-Sendeanstalt geäußerter und öffentlich laut gewordener Kritik zurückgezogen wurde, stellten sich jüngst 100 teils Prominente unter dem Motto „Menschen für Xavier Naidoo“ hinter den Künstler.

Auffällig in der Debatte war, dass zum Teil erstaunlich wenig über die eigentlichen Inhalte der Kritik an Naidoos öffentlichen Äußerungen und Auftreten berichtet, sondern vielfach lediglich von „massenhafter Empöung“ oder „Shitstorm“ gesprochen wurde – als gäbe es eine auf unverständliche Art und Weise entfesselte Emotionalität, vor der der NDR einknicken musste. Der Sieg des neidenden Wutbürgertums – das zumindest ist die Lesart der „Menschen für Xavier Naidoo“.

Naidoos Reaktion

Nun reagiert Naidoo erstaunlich schnell mit der Veröffentlichung einer musikalischen Durchhalteparole, die gleichermaßen an sich selbst wie seine zahlreichen Fans gerichtet ist:

„Ich hab gelernt ich soll für meine Überzeugungen Einsteh’n und meinen Glauben nie leugnen
Warum soll ich jetzt nach so langer Zeit
Davon Abstand nehmen dazu bin ich nicht bereit“.

Doch welche Überzeugungen besingt Naidoo hier eigentlich? Es lohnt sich durchaus, dieser Frage nachzugehen. Im Gestus eines auf verlorenem Posten stehenden Kämpfers für die freie Meinungsäußerung singt er im Refrain

„Nie mehr Krieg nie mehr Krieg
Wenn wir das nicht sagen dürfen dann läuft doch etwas schief!“

In seiner bislang lediglich auf Facebook veröffentlichten, knapp vierminütigen Mid-Tempo-Ballade dreht sich vieles um diese beiden Sätze. Die suggerierte Unmöglichkeit, sich – auch und ganz besonders in Anbetracht des kürzlich beschlossenen Militäreinsatzes der Bundeswehr in Syrien – öffentlich gegen Krieg, Gewalt und Diskriminierung zu äußern, widerlegt sich mit Blick auf 3,6 Millionen Aufrufe und 140.000 Shares des Videos selbst (Stand: 06.12.2015). Tatsächlich spiegeln diese Zahlen auch den Unmut vieler Menschen über das neuerliche militärische Eingreifen Deutschlands im Nahen Osten wieder – einen Unmut, der im Anschluss an den Bundestagsbeschluss vergangene Woche auch medial und öffentlich verarbeitet wurde. Dass Naidoos Ballade ausgerechnet auf dem Facebook-Auftritt des Publizisten Jürgen Todenhöfer veröffentlicht wurde, verdeutlicht in diesem Zusammenhang jedoch auch, dass viele Menschen sich ihre eigenen Öffentlichkeiten jenseits etablierter Medien und Foren geschaffen haben – um dort auch teilweise undifferenzierte und verschwörungsideologische Ansichten über die Welt auszutauschen.

Der Topos des unterdrückten Wahrheitskämpfers ist derweil in vielerlei Spielart vertreten: Thilo Sarrazin begründete seinen Rassismus mit dem angeblich herrschenden „Tugendterror“, die *gida- Bewegungen protestieren gegen die „Lügenpresse“ und salafitische Fanatiker_innen begründen ihre Ablehnung des ‚Westens‘ immer wieder mit der beschworenen „allgegenwärtigen Medienhetze gegen den Islam“.

Von Antisemitismus zu Antimuslimischen Rassismus

Im Milieu der „Truther“, der Sucher_innen okkulter Wahrheiten und Verschwörungsgläubigen fühlt sich Naidoo wohl, wie seine öffentlichen Äußerungen und Auftritte seit Jahren belegen. Doch ob Naidoo im „ARD-Morgenmagazin“ erklärt, es gäbe keinen Friedensvertrag und Deutschland sei ein besetztes Land, ob er auf einer Berliner Bühne der Grundgesetzleugner- und Reichbürgerbewegung spricht, ob er meint der 11. September „sei ein Warnschuss gewesen [… -] [w]er das als Wahrheit hingenommen hat, was da erzählt wurde, der hat einen Schleier vor den Augen, ganz einfach“ – es läuft alles auf eines hinaus: Strukturellen Antisemitismus.

Eine Textpassage aus einem älteren Lied ruft unverhohlen antisemitische Sprachcodes und Vorstellungen auf:

„Wie die Jungs von der Keinherzbank,
die mit unserer Kohle zocken
Ihr wart sehr, sehr böse,
steht bepisst in euren Socken
Baron Totschild gibt den Ton an,
und er scheißt auf euch Gockel
Der Schmock ist’n Fuchs
und ihr seid nur Trottel.”

Die Kritik an derartigen Äußerungen versuchte Naidoo gar gerichtlich zu verhindern – so viel zum von ihm beschworenen Recht auf freie Meinungsäußerungen.

In seinem neuen Lied, veröffentlicht bei Jürgen Todenhöfer, singt Xavier Naidoo:

„Muslime tragen den neuen Judenstern
Alles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gern
Es ist einfach nur traurig…“

Doch traurig ist vor allem auch die hinter diesem Statement stehende Weltsicht. Eben der Vergleich von aktuell weit verbreitetem antimuslimischem Rassismus einerseits und staatlicher Verfolgung von Jüd_innen während der Nazi-Herrschaft in Deutschland andererseits wurde unter anderem auch in einem Propaganda-Video auf der, der islamistischen Hizb-at-Tahrir nahestehenden Webseite „Generation Islam“ benutzt, um Muslim_innen für eine Opferideologie zu vereinnahmen. In dem ansprechend animierten und vielfach geteilten Video werden tatsächliche Diskriminierungserfahrungen von Muslim_innen auf gefährlich-subtile Art und Weise überhöht. Der Gedanke, dass einer religiösen Minderheit in Deutschland ein ähnliches Schicksal drohe wie der jüdischen Bevölkerung während der Shoah verharmlost die systematische Tötung von Jüd_innen und reproduziert das gefährliche Narrativ einer sich unter Angriff befindenden und gegen ‚den Westen‘ zu Wehr setzenden uniformen islamischen Gemeinschaft.

Die grausame Bedeutung des zentralen antisemitischen Stigmas der Nazis darf nicht fahrlässig entschärft werden. Nur mit großem Wohlwollen könnte man Naidoo und seinem Förderer Todenhöfer Unkenntnis der Geschichte überhaupt als Entlastung anrechnen – in jedem Fall ist die Relativierung der Verbrechen der Nazi-Herrschaft die Folge solcher Verharmlosungen. Die wirkliche Bedeutung des Judensterns beschreibt der Dresdner Philologe Victor Klemperer in seiner eindrücklichen Analyse der Sprache des Nationalsozialismus „LTI“ (Lingua Tertii Imperii) im Kapitel „Der Stern“:

„Welches war der schwerste Tag der Juden in den zwölf Höllenjahren? Nie habe ich von mir, nie von anderen eine andere Antwort erhalten als diese: der 19. September 1941. Von da an war der Judenstern zu tragen, der sechszackige Davidstern, der Lappen in der gelben Farbe, die heute noch Pest und Quarantäne bedeutet, und die im Mittelalter die Kennfarbe der Juden war, die Farbe des Neides und der ins Blut getretenen Galle, die Farbe des zu meidenden Bösen; der gelbe Lappen mit dem schwarzen Aufdruck: „Jude“, das Wort umrahmt von Linien der ineinandergeschobenen beiden Dreiecke, das Wort aus dicken Blockbuchstaben gebildet, die in ihrer Isoliertheit und in der breiten Überbetontheit ihrer Horizontalen hebräische Schriftzeichen vortäuschen. Die Beschreibung zu lang? Aber nein, im Gegenteil! mir fehlt nur die Kunst zu genauerer, eindringlicherer Beschreibung.“

Das „Netzwerk gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus Leipzig e.V.“ engagiert sich gegen Diskriminierungen von Muslim_innen. Abwertungen von und Ressentiments gegen als „muslimisch“ markierten Menschen sind ein gesamtgesellschaftliches Problem. Muslim_innenfeindliche Vorurteile sind in allen Teilen der Gesellschaft weit verbreitet und dienen als Mobilisierungsfakor (neu-)rechter Bewegungen und populistischer Parteien, wie Pegida oder AfD. Und so singt Xavier Naidoo dann auch zur Bestätigung derjenigen, die unbegründete Ängste davor haben, dass jemand „Fremdes“ ihnen Privilegien streitig machen könnte:

„Ich weiß es ist schwer zu glauben doch man will Dir Deinen Platz im Paradiese rauben“

Argumentation wie die Xavier Naidoos sind freiheitsfeindlich. Die Gleichsetzung von tatsächlich existierenden Diskriminierungen gegen (vermeintlich) muslimische Menschen mit dem Vernichtungswahn der Nazis gegen Jüd_innen ist infam, relativiert Nazi-Verbrechen und konterkariert jedes ehrliche Engagement gegen Islamfeindlichkeit und Antimuslimischen Rassismus. Es gibt wenig Perfideres als forcierte Opferkonkurrenz und das Ausspielen diskriminierter Minderheiten gegeneinander. Es ist aus Sicht des Netzwerks gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus notwendig, der gegen Muslim_innen gerichteten Form der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken. Dazu gehört eine klare Analyse der aktuellen Zustände. Die nationalsozialistische Terrorherrschaft und ihre zur industriellen Perfektion getriebene Verfolgung und Vernichtung der europäischen Jüd_innen steht als Mahnung vor uns. Lernen können und müssen wir aus diesem paradigmatischen Fall menschlicher Grausamkeit: Jeglicher Form von Antisemitismus und Rassismus muss entschieden widersprochen werden!

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du dich damit einverstanden.

Akzeptieren