von Sindyan Qasem:
In den letzten Tagen, Wochen und Monaten wurde viel geredet. Es wurde erklärt und genauer beleuchtet. Es wurde Beunruhigung geäußert, es wurde beschwichtigt, geschrien, gehetzt, es wurde sich distanziert, es wurde erklärt, warum sich nicht distanziert wurde. Es wurde aufgeklärt und sich dagegen gestellt.
Inmitten der vielen Reden wurde auch ein Satz gesagt, der bis dahin oft nur als Frage formuliert und um den lange gestritten wurde: „Der Islam gehört zu Deutschland“.
Geäußert in unmittelbarem Zusammenhang mit den Anschlägen von Paris als Zeichen gegen aufkommenden Generalverdacht und Islamfeindlichkeit, geäußert während einer Mahnwache sowohl gegen religiösen Fanatismus als auch Rassismus hat dieser kurze Satz vor allem symbolische Wirkung. Diesen Satz verstehe ich als einen Beitrag – einen kleinen Beitrag – gegen die Verrohung der Gesellschaft und gegen soziale Vereisung.
Ich weiß aber auch: Muslima und Muslime sind nach wie vor Feindbilder. Islam funktioniert noch immer als Projektionsfläche, polarisierendes Kalkül sorgt noch immer dafür, dass ‚Islam‘ und ‚Freiheitsfeindlichkeit‘ als Synonyme verwendet werden. In Leipzig mobilisiert LEGIDA Menschen, die ihren radikalen Ansichten offen Ausdruck verleihen und teilweise unverhohlen zu Gewalt aufrufen. Kurze Aussagesätze werden daran nichts ändern.
Neonazis und Intellektuelle der Neuen Rechten werden auch zukünftig nur darauf warten, zwischen den als ’normal‘ bezeichneten Bürgerinnen und Bürgern zu spazieren, es soll gegen Musliminnen und Muslime, Geflüchtete und in jedweder Art und Weise als ‚Anders‘ Markierte gehetzt werden. Rassismus wird jetzt und auch in Zukunft mit angeblich lauernden Gefahren legitimiert werden – Stichwort: ‚Islamisierung‘. Dass Politikerinnen und Politiker irrationale Ängste aufgreifen und auf die Agenda setzen, dass Rassistinnen und Rassisten Gehör geschenkt wird, ist kein dunkles Zukunftsszenario mehr sondern schon längst Realität. Und immer wieder fällt ein anderer prägnanter Satz, der schon 1989 aber auch während des Gohliser Moscheekonflikts oder bei Fackelmärschen gegen Asylbewerberinnen und Asylbewerber gefallen ist: „Wir sind das Volk“.
Übersetzt bedeutet das heute: „Ihr nicht“. Ich nicht.
Deshalb erwarte ich mehr als symbolische Gesten. Ja, Lichterketten, Mahnwachen und Shake-Hands haben ihren Wert. Sie können wichtige Anhaltspunkte sein, um ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen für Ausgrenzung, Diskriminierung und Rassismus. Aber was passiert danach?
Ich wünsche mir, dass die prägnanten aber inhaltsleeren politischen Statements nicht das Ende des politisches Diskurses sind. Die symbolischen Phrasen müssen mit Inhalt gefüllt werden, um einer Spaltung der Gesellschaft effektiv zu entgegenen. Es braucht neue Narrative. Das kollektive deutsche „Wir“ muss endlich überdacht werden, mit dem Ziel, tatsächlich alle Menschen einzuschließen und teilhaben zu lassen. „Wir sind das Volk“ – Ja, ich auch. Wir, mit unseren Biographien und dunklen Haaren, auch.
In einigen Wochen oder vielleicht schon morgen, dann wenn die LEGIDA-Bewegung verebbt und die nächste Welle von Rassismus im öffentlichen Raum noch nicht begonnen hat, stehe ich möglicherweise in der Schlange vor der Kasse im Supermarkt hinter unauffälligen Menschen, die ich in diesen Tagen per Blockade daran hindern will, zu ihrem Demonstrationsort zu gelangen. In einigen Wochen kehren auch diejenigen, die jetzt ihre Aggressionen gegen als ‚Anders‘ Markierte herausbrüllen, in ihr normales bürgerliches Leben zurück. Sie kehren zurück nach Hause, zur Arbeit, in Schulen und Sportvereine, in Parks und Cafés, in Kindergärten und Schulen. Was passiert dann?
Die Antwort auf diese Frage lautet immer öfter: Dialog. Auch heute haben sich LEGIDA-Vertreter_innen angekündigt, um in den Dialog treten zu wollen. Was soll ich dazu sagen? Natürlich lohnt es sich, miteinander zu diskutieren, aber doch nur dann, wenn alle Beteiligten bereit sind zur Selbstreflexion. Nur dann ist Rassismus heilbar.
Für mich ist Dialogarbeit dann auch immer Präventionsarbeit. Das bedeutet, dass diese Arbeit kontinuierlich stattfinden sollte, abseits von Alarmismus, abseits von tagespolitischem Geschehen, dafür im Idealfall aber im Vorfeld von Radikalisierungen. Diese Arbeit ist dabei angewiesen auf starke Strukturen, die die Ressourcen zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure bündeln und sammeln. Sensibilisierung und das Schaffen von Gegenöffentlichkeiten sind effektive und nachhaltige Mittel gegen Rassismus und Freiheitsfeindlichkeit.
Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass sich viele Menschen mobilisieren lassen, um Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu setzen. Das Ziel muss jetzt sein, diese Menschen einzuladen und für Engagement in bestehenden Initiativen zu begeistern. Deshalb werde ich mich freuen, euch und Ihnen, den hier Versammelten, in Zukunft wieder über den Weg zu laufen. Denn wir sollten dranbleiben. Auch wenn Rassismus zukünftig wahrscheinlich nicht mehr so öffentlich präsent sein wird wie momentan – er ist da. Diskriminierung und Ausgrenzung jeglicher Art und Weisen gilt es weiterhin zu bekämpfen.