Auch einige Mitglieder vom NIR waren am Samstag, dem 7. November, in der Leipziger Innenstadt unterwegs – mit FFP3-Masken und bestmöglicher Wahrung von Sicherheitsabständen zu den Demonstrationsgeschehen. Denn an diesem Tag erlebte Leipzig die größte rechtsradikale Massenveranstaltung seit 1990.
Nach einigen Tagen des Nachdenkens über die Ereignisse des vergangenen Samstags wechselt die Wut über das Staatsversagen und den Kontrollverlust auf allen Ebenen in Entschlossenheit: So etwas wie Samstag darf sich nicht wiederholen! Die Verantwortlichkeiten für die verheerenden Fehler müssen geklärt und politische Konsequenzen gezogen werden!
Diese Bilder von der islamfeindlichen Kundgebung der Gruppe „Pax Europa“ entstanden um kurz vor 13 Uhr auf dem Leipziger Marktplatz. Der Dauerredner Michael Stürzenberger ist als langjähriger Redakteur der Islamhasser_innen-Plattform „Politically Incorrect“ und mehrfacher Redner der rassistischen Pegida- und Legida-Bewegung in Dresden und Leipzig mehrfach durch seine menschenverachtenden Tiraden aufgefallen. Im Zuge des Chaos rund um das weitere Demonstrationsgeschehen, konnte er nahezu ungestört und ohne jegliche Distanz seine Parolen – auch vor Betroffenen von Antimuslimischem Rassismus – verbreiten. Auch hier waren erschreckende Szenen zu beobachten. Ein von einer Passantin angesprochener Polizist stimmte beispielsweise ausdrücklich und überzeugt Stürzenbergers Hassparolen zu.
Verschwörungsideolog_innen, rechtsradikale Splittergruppen, verblendete Esoteriker_innen und wohlstandsverwöhnte Bürger_innen aus der ganzen Republik versammelten sich zum angesagten Corona-Superspreading-Event mit anschließender Gewalteskalation der militanten Rechten.
Es stellen sich Fragen:
Weshalb fand das Kooperationsgespräch zwischen den Behörden und Veranstalter_innen so spät statt? Es war abzusehen, dass die Organisator_innen gegen die Verlegung der Kundgebung zur Neuen Messe klagen würden. Ebenso absehbar war die Entscheidung des Bautzener Oberverwaltungsgerichts. Hätte die Stadt von Anfang an früher auf die bundesweite Mobilisierung reagiert, wäre Zeit gewesen, weitere Rechtsmittel einzulegen und die Versammlung außerhalb der Innenstadt durchzuführen.
Warum hob das OVG Bautzen das in jeder Hinsicht sinnvolle Urteil des Leipziger Verwaltungsgerichts auf, die Corona-Leugner_innen auf das Gelände der Neuen Messe zu verlegen und damit die Zivilbevölkerung mit der Heimsuchung von maskenverweigernden Virenschleudern zu schützen?
Spätestens am Vorabend des katastrophalen Demogeschehens – bei der Zusammenrottung auf dem Marktplatz – musste klar sein, dass sich die angereisten „Systemkritiker_innen“ einen Dreck um Auflagen und Infektionsschutz scheren. Das ist schließlich deren politisches Programm.
Noch am Samstag selbst hätte es an jeder Stelle Möglichkeiten gegeben, das Geschehene zu verhindern. So war der Augustusplatz bereits deutlich vor 13 Uhr von Corona-Leugner_innen überfüllt: Etwa 20.000 Menschen drängten sich dort ohne Maske, obwohl nur 16.000 Teilnehmer_innen zugelassen waren. Wie kam diese Fantasiezahl überhaupt zustande und welche Vorgänge innerhalb des Justizapparats führten zu dieser Ziffer? Und hier schließt sich direkt die nächste Frage an: Warum ließ die Leipziger Versammlungsbehörde die Kundgebung am Samstag um 13 Uhr überhaupt beginnen?
Der nächste Totalausfall ist eindeutig bei der Polizei zu verorten. Die anwesenden Polizeikräfte am Augustusplatz waren nicht einfach überfordert – sie waren geradezu paralysiert. Ein Beamter verlas beispielsweise über einen Lautsprecherwagen die Auflage der Maskenpflicht und des Abstandsgebots an der Oper, während direkt an ihm vorbei eine alkoholisierte Gruppe Nazihooligans mit Reichsfahnen auf den Augustusplatz strömte. Darauf angesprochen, warum keine Maßnahmen erfolgten, erwiderte er mit ehrlicher Bestürzung, dass er nichts machen könne, wir sollten uns doch bloß einmal umschauen. Nach dutzenden Durchsagen ohne jegliche Konsequenzen hatte sich die Polizei vollends der Lächerlichkeit preisgegeben.
Warum wurde die Versammlung erst nach über zweieinhalb Stunden offiziell aufgelöst? Zu diesem Zeitpunkt war bereits alles zu spät. Bis zu 45.000 Tourist_innen des umherziehenden Corona-Zirkus dominierten die Innenstadt, Leipziger_innen wurden ihre Atemschutzmasken vom Gesicht gerissen, Journalist_innen und Zivilbevölkerung von marodierenden Hooligantrupps bedroht, verfolgt und verprügelt. Dass die viel zu schwach besetzte Polizei einen Durchbruch der militanten Rechtsradikalen am Hauptbahnhof nicht verhinderte und die Einsatzkräfte regelrecht überrannt wurden, war bei der schieren Masse an Gewaltpotential der aufgelösten Kundgebungsteilnehmer_innen vorauszusehen.
Man fragt sich: Wo waren die Wasserwerfer und Räumpanzer, die am Abend in #Connewitz auffuhren und ironischerweise die ersten spektakulären Bilder für die mediale Berichterstattung lieferten, als sie wirklich gebraucht wurden?
Noch am Abend, als die Sicherheitskräfte bereits seit Stunden kapituliert hatten und die Innenstadt faktisch zur „national befreiten Zone“ geworden war, schwang Michael Stürzenberger unablässig seine Reden auf dem Marktplatz. Ein nachhaltig frustrierender Tag ging damit zu Ende, dass einzelne Q-Verschwörungsideolog_innen immer wieder, vermutlich als „Mutprobe“ maskenlos durch den von der Polizei abgedrängten Gegenprotest flanierten – natürlich unter dem Schutz der Beamten, von denen auffällig viele ebenfalls ohne Abstand und Atemschutzmaske im Einsatz waren.
Die weitere Aufarbeitung dieser Vorfälle muss dringend vorangetrieben werden! Wer übernimmt für dieses Desaster politische Verantwortung, wenn der sächsische Innenminister Wöller (CDU) vom „überwiegend friedlichen Verlauf“ des Tages spricht und SPD und Grüne sich faktisch vor ihn stellen? Rechtsradikale Gewalt wird in Sachsen chronisch heruntergespielt. Wie lange müssen wir uns diese lebensgefährliche Ignoranz gegenüber rassistischen Mobilisierungen von dieser sächsischen Regierung noch bieten lassen?